Meine beiden Töchter studieren schon einige Zeit in Wien, weshalb ich immer wieder – früher auch oft in Kombination mit beruflichen Verpflichtungen – für drei bis vier Tage in unsere Hauptstadt komme.
Daher versuche ich während des aktuellen Aufenthalts die Stadt aus der Außensicht knapp zu charakterisieren.
Geographisch liegt Wien an den östlichen Ausläufern der Alpen in die pannonische Tiefebene und wird von West nach Ost von der Donau durchflossen.
Grob kann man die Stadt in drei Teile gliedern
Die Innenstadt bzw. der erste Stadtbezirk ist fast rund und von der breiten Ringstraße und einem Stück Donaukanal begrenzt. Der Ring mit seinen Prunkbauten wie Parlament, Rathaus, Oper oder Burgtheater entstand in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf den durch das Schleifen der nicht mehr benötigten Stadtmauern freigewordenen Flächen. Die Innenstadt mit dem Stephansdom im Zentrum ist kleinteilig gegliedert mit oft engen Gassen und wird von öffentlichen Einrichtungen, Handel und Dienstleistungen dominiert.
Ein zweites annähernd ringförmiges Element der Stadt ist der Gürtel. Hier hat – ebenfalls im 19. Jht. – der weit vorausschauende Stadtplaner Otto Wagner die Stadtbahn errichten lassen, die erste innerstädtische Schnellverbindung, heute die U6. Zwischen Ring und Gürtel liegen die sogenannten Vorstädte, ein dicht besiedelter Bereich mit einer Durchmischung von Wohnen, Dienstleistungen und Gewerbe und nur wenigen Grünanlagen. Diese inneren Stadtbezirke haben die einstelligen Nummern 2 bis 9.
Außerhalb des Gürtels liegen die Außenbezirke mit den Nummern 10 bis 23. Jene in Richtung der Gebirgsausläufer des Wienerwaldes haben einen fließenden Übergang von dichter besiedelten Bereichen in noble und teure Wohngebiete nahe den Erholungsmöglichkeiten und außerhalb des winterlichen Nebels. Jene in Richtung Ebene sind die „Arbeiterbezirke“ mit Sozialwohnbauten und Gewerbe.
Abwechslungsreiche jüngere Geschichte
Zu Zeiten der österreichisch-ungarischen Monarchie war Wien als Hauptstadt bereits Sammelbecken und erster Anlaufpunkt vieler Arbeitssuchender und Auswanderer. So erlebte sie vor dem ersten Weltkrieg ein explosionsartiges Wachstum auf über zwei Millionen Einwohner, alle Sprachen der Monarchie und ihrer Nachbarländer waren in den Straßen Wiens vertreten.
In der Zwischenkriegszeit und während des Kalten Kriegs schrumpfte die Einwohnerzahl Wiens, nun nur mehr Hauptstadt eines Kleinstaats, auf ca. 1,5 Millionen. Nahe des Eisernen Vorhangs war sie nun in einer Randlage mit geringen Perspektiven. Wien blieb aber immer ein gewisser Brückenkopf zwischen West und Ost, was auch durch die Ansiedlung internationaler Organisationen wie Teilbereiche der UNO oder die OPEC-Zentrale unterstrichen wurde. Die Randlage führte zu einem verbreiteten Pessimismus in der (tendenziell überalterten) Bevölkerung, das „Raunzen“ (=Nörgeln) der Wiener ist sprichwörtlich.
Aktuelle Entwicklungen
Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs trat eine neuerliche Trendwende ein. Wien rückte wieder in das Zentrum Europas und wurde zunehmend interessanter für Zuwanderer und Flüchtlinge, aber auch attraktiv für Studenten und Touristen aus zahlreichen Ländern Europas und der Welt. In wenigen Jahren soll die Zwei-Millionen-Einwohnermarke wieder überschritten werden. Heute ist wieder Optimismus angesagt, ich empfinde die Stadt als bunt, vital und aktiv. Auf den Straßen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln sieht man alle Haut- und Haarfarben und hört man viele bekannte und unbekannte Sprachen.
Aber es wären nicht die Wiener, fänden sie keine Gründe zum Nörgeln. So jammern sie wieder über die zu große Menge an Ausländern, an Fremdem, wie sie es wahrscheinlich zu Zeiten der Monarchie auch schon trefflich gekonnt haben.
Aber nicht nur die Bevölkerung, sondern auch das Erscheinungsbild der Stadt erlebte in den vergangenen 20 bis 30 Jahren einen markanten Transformationsprozess: Auf nicht mehr benötigten Eisenbahn- und Gewerbeflächen entstanden und entstehen neue Stadtteile, teilweise mit Hochhäusern. Neue Bahnlinien wurden gebaut, um die früheren Kopfbahnhöfe mit dem neuen Hauptbahnhof zu ergänzen, der den internationalen Zügen ein Durchqueren der Stadt erlaubt. Das U-Bahn-Netz wird praktisch ohne Unterbrechung erweitert und verdichtet. Fast wie aus dem Nichts entstand in ganz Wien ein beachtliches Radwegenetz.
Innenstadtbezirke und multikulturelle „Arbeiterbezirke“ werden für junge und gebildete Bevölkerungsschichten interessant, was aufgrund der steigenden Immobilienpreise zu Verdrängungseffekten führt. Derartige hippe Viertel sind zum Beispiel um den Naschmarkt, zwischen Mariahilfer und Josefsstädter Straße oder um Brunnenmarkt und Yppenplatz im Außenbezirk Ottakring. Dort wachsen In-Lokale und biofaire Geschäfte auf gut Wienerisch „wie Schwammerln (= Pilze) aus dem Boden“.
So kann man sagen, dass zwar nicht alles, aber sehr viel im Fluss ist. Dies wird sich aber trotz des derzeit zu beobachtenden Trends zurück zu Konservativismus und Fremdenfeindlichkeit vermutlich nicht so schnell ändern. Aber auch die Zukunft wird spannend bleiben.
Bei all der Fluktuation darf man aber nicht übersehen, dass Wien in den verschiedenen Rankings der Großstädte der Welt konstant im Spitzenfeld oder gar am ersten Platz zu finden ist, vor allem wegen einer hohen Lebensqualität, geringer Kriminalität und eines ausgezeichneten Bildungs- und Gesundheitssystems.